Ambiguitätstoleranz

Ambiguitätstoleranz in der Corona Situation

In Zeiten, in denen die gesamte menschliche Gesellschaft durch die Corona Pandemie kräftig durchgeschüttelt wird, beobachte ich zunehmend, dass uns Menschen auffällig oft die Fähigkeit fehlt, andere Meinungen zu akzeptieren und mit Mehrdeutigkeit und Ambivalenz umzugehen. Umso vertrauter scheinen wir dafür mit der Neigung, Fehler bei anderen zu suchen und äußere Umstände für unseren eigenen unbefriedigenden Zustand verantwortlich zu machen.

Doch woran kann es liegen, dass wir uns tief im Inneren so schwer mit dem Motto „Leben und leben lassen“ tun?

Warum wir von Natur aus nicht tolerant sind

Auch wenn wir als Menschen vollkommen unterschiedlich sind, so haben wir auch unzählige Gemeinsamkeiten, die uns verbinden und Raum für Begegnung schaffen können. Die Fähigkeit nicht ambiguitätstolerant zu sein ist meines Erachtens so eine Gemeinsamkeit.

Wir sehnen uns allesamt nach klaren, unmissverständlichen Aussagen, lieben Sicherheit und das Gefühl unser Leben im Griff (unter Kontrolle) zu haben. Wir wünschen uns, dass unser Leben einfach und leicht ist.

Falls Sie anderer Meinung sein sollten, lade ich Sie ein, sich zu überlegen, ob Sie lieber ein Leben führen, das komplex, missverständlich, unkalkulierbar und unsicher ist. „Genau so läuft es aber im Leben“, mögen Sie jetzt vielleicht denken. Und genau das ist der Punkt. Unser Leben IST mehrdeutig, unvorhersehbar, unsicher und vielschichtig. Doch nur weil es so ist, müssen wir das nicht zwangsläufig auch wollen.

Wir haben im Laufe unserer menschlichen Entwicklung festgelegt, dass eine tolerante Haltung unverzichtbar für eine demokratische Gesellschaft ist. Doch handelt es sich bei dieser Festlegung mehr um einen konventionell geschaffenen Wert als um ein inneres Bedürfnis. Unsere (Ambiguitäts-)Toleranz stellt sicher, dass wir überwiegend friedlich in unserer Gesellschaft koexistieren können. Wenn wir uns jedoch die psychischen Grundbedürfnisse des Menschen anschauen, wird deutlich, weshalb die Fähigkeit tolerant zu sein nicht selbstverständlich für uns ist. In der Regel müssen wir uns diese Haltung erst aneignen.

Die psychischen Grundbedürfnisse des Menschen (in der Corona Situation)

Der Psychologische Psychotherapeut und Psychotherapieforscher Klaus Grawe definierte vier psychische Grundbedürfnisse. Diese seien in jedem Menschen angelegt und können bei langanhaltender Vernachlässigung zu Beeinträchtigungen und psychischen Krankheiten führen.

Welche vier psychischen Grundbedürfnisse hat der Mensch?

  1. Das Bedürfnis nach Bindung
  2. Das Bedürfnis nach Kontrolle und Autonomie
  3. Das Bedürfnis nach Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung
  4. Das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung

1.    Das Bedürfnis nach Bindung

Ob jung oder alt – wir Menschen benötigen soziale Begegnung und echte Berührung mit anderen. Isolation und der Entzug von Nähe und Geborgenheit können bereits im Säuglingsalter zu traumatischen Erlebnissen führen, die im Laufe unseres Lebens reaktiviert werden können (z.B. Verlustangst). Während der Pandemie sind soziale Kontakte teilweise nur eingeschränkt möglich. Besonders Singles und Menschen, die von langen Aufenthalten in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen betroffen sind und kaum Besuch empfangen dürfen, sind stark beansprucht. Doch auch der „ganz normale Bürger“, der immer gerne mit Freunden , Nachbarn und Kollegen unterwegs war, kann durch Verzicht dieses Zusammenseins Gefühle der Trennung und Einsamkeit erleben. Je nach persönlicher Ausprägung, gibt es natürlich Menschen, die mehr oder weniger Wert auf Bindung legen und daher auch unterschiedlich stark auf fehlende soziale Kontakte reagieren.

2. Das Bedürfnis nach Kontrolle und Selbstbestimmung

Kontrolle

Wir sehnen uns nach zuverlässigen Antworten, einer planbaren Perspektive, sowie einem einheitlichen Vorgehen, das unserem Alltag Struktur und Orientierung verleiht. Widersprüchliche Aussagen sorgen hingegen für Misstrauen und frustrieren konstant unser Bedürfnis nach Kontrolle. Unsere Zukunft planen zu können verleiht uns ein Gefühl von Macht, wohingegen beispielsweise das Warten auf neue Regelungen uns in einen Zustand von Ohn-macht (= ohne Macht) fallen lässt.

Selbstbestimmung (Autonomie)

Darüber hinaus haben wir das Bedürfnis eigene Entscheidungen zu treffen und unser Leben so zu gestalten, wie wir es für angemessen halten. Einschränkungen des persönlichen Lebensgestaltungsraums verletzten unser Bedürfnis nach Autonomie. Genau dasselbe gilt für Eingriffe unseres inneren Systems. Wir möchten Kontrolle und Selbstbestimmung über unseren Körper und Geist. Wir wollen selbst festlegen, wie wir unser biologisches und psychisches System versorgen und welche Maßnahmen wir für unsere persönliche Gesundheit ergreifen (z.B. Impfen oder nicht Impfen).

Daneben spielt das Bedürfnis nach Autonomie während der Corona Situation auch zwischenmenschlich eine große Rolle. Wenn wir plötzlich gezwungen sind, ständig mit unserer Familie oder unserem Partner/unserer Partnerin zusammen zu sein und wenig eigenen Entfaltungsraum zur Verfügung haben, so kann uns diese fehlende Freiheit belasten.

3. Das Bedürfnis nach Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung

Wir streben alle nach Anerkennung, Lob und unserem Platz in der Gruppe. Unser Selbstwert ist ein zartbesaitetes Pflänzchen, das von uns gehegt und gepflegt werden muss. Wir brauchen das Gefühl etwas wert zu sein und haben in der Regel nicht hinreichend gelernt uns selbst einen Wert zuzuschreiben, der nicht an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Das Bedürfnis nach Selbstwertschutz bzw. Selbstwerterhöhung stellt im Hinblick auf unsere Ambiguitätstoleranz wahrscheinlich den komplexesten Faktor dar. Ich möchte versuchen die Komplexität zu vereinfachen, indem ich umgekehrt ansetze: Wer seinen Wert nicht von Status, Leistung, Gehalt, Besitztümern, bestimmten Personen oder seinem äußeren Erscheinungsbild abhängig macht, der fühlt sich innerlich frei und kann auf Grund dieser inneren Unabhängigkeit andere Meinungen stehen lassen. Er ist ausgetreten aus dem Hamsterrad der Bewertungen und weiß, dass eine Meinung nur eine Meinung ist, die nicht die Person als Ganzes repräsentiert. Wie andere Menschen seine Sichtweise oder sein Verhalten beurteilen, führt in der Regel nicht dazu, dass er an sich oder seinen Überzeugungen zweifelt. Er ist nicht länger von unbewussten Ängsten gesteuert, wie zum Beispiel der Angst vor dem Verlassen werden oder der Angst nicht gemocht und ausgegrenzt zu werden.

Doch leider lernen wir meist weder von unseren Eltern noch in der Schule wie wertvoll wir sind, auch ohne, dass wir dafür etwas tun müssen.

Co-Faktor Angst

Je geringer unser Selbstwert ist, desto anfälliger sind wir dafür, von unseren unbewussten Ängsten geleitet zu werden und desto weniger tolerant können wir schließlich sein. Angst führt in unserem Körper immer zu Stress. Der erhöhte Stresspegel sorgt dafür, dass wir viel öfter entsprechend unseres Überlebensprogramms (Kampf-Flucht-[Erstarren]) reagieren, als wir es gewöhnlich tun.

Das menschliche Überlebensprogramm

Bei diesem Überlebensprogramm handelt es sich um einen Überrest unserer Evolution. Um in Gefahrensituationen schnell reagieren zu können, schüttet der Körper vermehrt Stresshormone (Adrenalin, Cortisol, Adrenocorticotropes Hormon) aus. Die Pupillen weiten sich, der Puls steigt und die Muskeln spannen sich an. Unser Körper stellt sich auf Fliehen oder Kämpfen ein. Dieser in der Steinzeit lebenswichtige Überlebensmodus wird heute lediglich da gebraucht, wo echte Gefahren bestehen. Beispielsweise wenn eine Mutter sieht, wie Ihr Kind droht auf eine befahrene Straße zu laufen oder wenn wir körperlich angegriffen werden. In solchen Situationen denken wir nicht nach, sondern handeln aus dem Affekt. Der Verstand ist abgeschaltet und unsere Überlebensinstinkte übernehmen die Steuerung.

Leider kann unser Gehirn nicht besonders gut zwischen einer wahrhaftigen Gefahr und der Vorstellung einer Gefahr unterscheiden. Auch können wir unserem Gehirn nicht einfach sagen, dass es keinen Grund gibt, in bestimmten Situationen unseren Überlebensmodus anzukurbeln. So passiert es nicht selten, dass wir heute in vollkommen harmlosen Situationen unbeabsichtigt unser Überlebensprogramm aktivieren. Wer zum Beispiel Angst hat vor großem Publikum zu sprechen, kennt wahrscheinlich das beklemmende Gefühl von Kontrollverlust. Zwar geht von dem Publikum keine reale Bedrohung aus, doch reicht der bloßer Gedanke an alles, was schief gehen könnte aus, um den eigenen Körper in einen Alarmzustand zu versetzen und sein Überlebensprogramm zu mobilisieren. Ähnlich verhält es sich bei einer Meinungsverschiedenheit in einer hitzigen Diskussion. Wenn wir den Eindruck haben verbal angegriffen zu werden, rutschen wir häufig unbemerkt in unser Überlebensprogramm.

Wie unsere unbewussten Ängste uns in der Corona Situation steuern

Unsere vielfältigen unbewussten Ängste sind ein Grund für die geringe Bereitschaft andere Meinungen anzuhören und neben der eigenen stehen zu lassen.
Dazu müssen wir natürlich verstehen, welche Ängste in der Corona Situation besonders aktiv sind. Da wären beispielsweise:

  • Existenzangst (Verlust des Arbeitsplatzes/Einkommens)
  • Angst vor Krankheit
  • Angst vor dem Tod
  • Angst vor Freiheitseinschränkungen
  • Angst vor Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit
  • Angst vor dem Unbekannten / Angst vor der Unberechenbarkeit des Lebens
  • Angst vor dem was andere Menschen über einen selbst denken könnten
  • Angst vor Ausgrenzung
  • Angst vor totaler Überwachung
  • Angst vor Spaltung der Gesellschaft / (Bürger-)Krieg
  • Angst vor dem Alleinsein

Diese Liste kann sicherlich noch um ein Vielfaches erweitert werden. Jeder Mensch muss für sich prüfen, welche Angst sich möglicherweise hinter seinem Verhalten oder seiner Meinung verstecken könnte. Insofern wir uns aber nicht mit unseren Ängsten auseinandersetzen wollen oder können, dienen uns unsere Mitmenschen hervorragend als Spiegel. Mit ihrem Verhalten und ihren Ansichten triggern sie immer wieder unsere eigenen (tiefsitzenden) Ängste. Das führt in unserem Körper immer wieder zu einem erhöhten Stresspegel.

Stehen wir einmal unter Stress, sind wir nicht mehr vollständig aufnahmefähig und weniger kompromissfähig. Vielmehr verhalten wir uns gereizt und unkontrolliert. Wir können weder komplexe Informationen verarbeiten noch über unser Verhalten nachdenken. In einer konkreten Streitsituation sind wir daher ohne Übung nicht in der Lage unsere eigenen unbewussten Ängste zu erkennen und unser Verhalten dahingehend zu beeinflussen. Erst wenn die „Gefahr“ vorbei ist, beginnen wir uns zu entspannen und unser Körper kann langsam die Stresshormone abbauen. Hier entsteht dann Raum für Reflektion. Wir können unser Verhalten im Nachgang beleuchten.

Doch leider stehen in der aktuellen Corona Lage sowohl unsere Grundbedürfnisse als auch unsere unbewussten Ängste häufig in einem dauerhaften Spannungsverhältnis zu unserem momentanen Leben. Je mehr Ungleichgewicht wir in und außerhalb von uns vorfinden, desto schneller produziert unser Körper immer wieder Stress. Wir werden emotionaler und reagieren anstatt zu agieren.

4. Das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung

Wir wollen am liebsten nur das machen, was uns Freude bereitet! Das Bedürfnis nach lustvollen Erfahrungen wird vor allem dann frustriert, wenn wir keine attraktive Perspektive für die Zukunft haben. Wir haben im Laufe unseres Lebens erlernt auch Dinge zu tun, die wir nicht besonders mögen. Doch tun wir diese meist, weil sie etwas anderes aufwiegen. Lästige Arbeit bringt Geld, Lernen für eine Prüfung bringt einen Abschluss, ein Kompromiss in einer zwischenmenschlichen Beziehung bringt Harmonie. Wir haben gelernt gewisse freudlose Erfahrungen in Kauf zu nehmen. Es bleibt jedoch immer noch unser natürliches Bedürfnis das zu tun, was uns erfüllt. Geschlossene Clubs, Restaurants, Theater oder Konzerthallen bescheren insbesondere den Menschen, die nicht gerne Zeit mit sich selbst verbringen oder schnell gelangweilt sind, das Gefühl von Unlust. Wenn die Tage immer gleich scheinen, gewöhnen wir uns irgendwann an die monotone Tristesse und sind anfälliger für depressive Verstimmungen.

Welche Bedeutung haben unsere psychischen Grundbedürfnisse im Hinblick auf unsere Ambiguitätstoleranz?

Alle Grundbedürfnisse haben in gewisser Weise Einfluss auf die Ausformung unserer Ambiguitätstoleranz. Selbstverständlich sind nicht alle vier Bedürfnisse bei jedem von uns gleich stark ausgeprägt, aber sie sind in jedem von uns vorhanden. Doch wissen viele Menschen gar nicht von der Existenz ihrer Grundbedürfnisse und können oft weder die eigenen Emotionen und Reaktionen noch jene Ihrer Mitmenschen richtig begreifen.

Weitere Faktoren, die unsere Ambiguitätstoleranz beeinflussen

Neben den vier Grundbedürfnissen sind auf unbewusster Ebene noch einige weitere Faktoren beteiligt, die unsere Fähigkeit mit Ambiguität umgehen zu können, beeinflussen. Die oben erwähnten Ängste spielen hier eine wesentliche Rolle. Ebenso zeigen sich im Alltag weitere, individuelle Bedürfnisse (z.B. nach Ruhe, Sicherheit, körperlicher Nähe, Harmonie, etc.), die versorgt werden möchten. Zu guter Letzt dürfen unsere eigene Persönlichkeitsstruktur, unser Selbstkonzept (Ego), unsere psychologischen Abwehrmechanismen und gewisse (psychische) Störbilder nicht außer Acht gelassen werden. Je nachdem aus welchem Holz wir geschnitzt sind, können wir beispielsweise besser oder schlechter mit Autoritäten und Regeln umgehen oder sind mehr oder weniger offen für weniger konventionelle Ansichten. Wir können uns unterschiedlich gut an veränderte Bedingungen anpassen und sind von Natur aus mehr oder weniger stressempfindlich.


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Zusammenfassend können wir festhalten, dass die Ausprägung unserer eigenen Ambiguitätstoleranz unter anderem von folgenden inneren Bedingungen abhängig ist:

  • Versorgung der (Grund-)Bedürfnisse
  • Vielseitige Ängste, die nicht bewusst bearbeitet werden (inkl. Traumata)
  • Überwiegend unbewusste Lebensführung (Ausrichtung nach Selbstkonzept)
  • Psychologische Abwehrmechanismen und (psychische) Krankheiten
  • Persönlichkeitsstruktur (Stressempfindlichkeit / Resilienz / Optimismus etc.)

Diese vielfältigen inneren Einflussfaktoren verdeutlichen, weshalb speziell beim Thema Corona eine kollektive Freund-oder-Feind-Einstellung in unserm zwischenmenschlichen Miteinander zu dominieren scheint. Je stressiger die äußeren Umstände, desto mehr sind wir in unserer inneren Resilienz gefordert. Wenn diese allerdings schwach ausgeprägt und/oder nicht hinreichend trainiert sind, dann wird es brenzlig. Der äußere Stress ruft dann inneren Stress hervor und wir rutschen in unsere Emotionen, sprich in unser Überlebensprogramm. Aggressive Anfeindungen, Beleidigungen oder völlige Verständnislosigkeit für unser Gegenüber sind demnach häufig die Folge unserer eigenen nicht bewusst wahrgenommenen Themen.

Zuerst die eigene Ambivalenz annehmen

Wie auch immer wir mit den unterschiedlichen Meinungen im Hinblick auf die Corona Thematik umgehen mögen, wir unterliegen hierbei alle denselben Einflussfaktoren. Es entspricht nicht unserer Natur, dass wir gut mit Ambivalenzen umgehen können, doch sind wir alle von Natur aus ambivalent. Was uns bei unseren Mitmenschen abstößt oder „auf die Palme bringt“, zeigt uns lediglich, wie schlecht wir im Grunde unsere eigenen Ambivalenzen annehmen können. Unsere Mitmenschen sind auch hier unsere persönliche Spiegelfläche. Wer sich also beispielsweise von anderen mehr Rücksichtnahme und Verständnis wünscht, ist aufgefordert zu schauen, wie rücksichtsvoll er selbst mit den eigenen Bedürfnissen und jenen seiner Mitmenschen umgeht.

Insbesondere unsere „schwachen“ Seiten, werden gerne von uns verdrängt oder gnadenlos abgestraft. Nur die Seiten, die von unseren Mitmenschen oder der Gesellschaft wertgeschätzt und akzeptiert werden, dürfen gezeigt und weiter ausgebaut werden. Doch aus unserer Ablehnung gegen die eigene, wechselhafte Natur erwächst ein innerer Konflikt. Dieser führt dazu, dass wir das, was in uns selbst nicht stimmig ist bei anderen umso deutlicher wahrnehmen.

Wenn Sie sich das nächste Mal in einer hitzigen Corona-Diskussion befinden und Ihre Ansichten mit denen Ihres Gegenübers kollidieren, dann denken Sie daran, dass es nicht selbstverständlich für uns ist, mit unterschiedlichen Ansichten umzugehen. Wir alle haben Bedürfnisse, Ängste, Komplexe und (negative) Erfahrungen, die uns prägen und damit unsere Ambiguitätstoleranz formen. Wir haben somit immer vollkommen individuelle Motive für oder gegen bestimmte Meinungen. Überprüfen Sie daher im ersten Schritt Ihre eigenen.

Wir können nur ein Miteinander schaffen, wenn wir auch bereit sind zuzuhören, was der andere zu sagen hat. Warum er so denkt wie er denkt. Eine kategorische Anti-Haltung und das Flüchten in die Arme Gleichgesinnter mag zwar unserem Ego schmeicheln, doch entfernt es uns auf Dauer voneinander. Wenn wir unsere Mitmenschen ständig in bestimmte Schubladen stecken, mag uns das vielleicht ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit verleihen. Doch wir berauben uns selbst jedes Mal der Möglichkeit unser Gegenüber so zu sehen, wie es wirklich ist und nicht wie wir es sehen wollen.

Die Überzeugungen und Entscheidungen anderer Menschen verstehen zu wollen, bedeutet nicht, die eigenen aufzugeben. Es bedeutet, dass wir unsere Mitmenschen respektieren und sie annehmen, wie sie sind. Mit und ohne Übereinstimmung. Einfach, weil wir als Menschen vollkommen einzigartig und doch auch gleich sind.

„Manch Urteil ist ja längst beschlossen, eh des Beklagten Wort geflossen“

Anastasius Grün –

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