Leben im Hier und Jetzt: Wie Sie Ihr Leben bewusst gestalten

Vielleicht kennen Sie das Gefühl von Ihrer Angst, Wut, Trauer, Ihren Schmerzen oder Problemen vollkommen vereinnahmt zu sein. Vielleicht hören Sie sich dann auch Sätze sagen wie:

Ich bin traurig”
Ich habe eine Depression”
Ich leide an der Situation/Krankheit xy”

Doch auch wenn es so scheint, als wenn Ihre Symptome,  Ihre Probleme oder Defizite Sie vollständig ausmachen, sind diese in Wahrheit nur Teile von Ihnen. Neben all dem, was Sie so wahrhaftig und echt leiden lässt, sind Sie immer noch Sie. 

Und Sie sind mehr als Ihr Problem!

Die Teile von Ihnen, die unglücklich, traurig oder krank sind, erhalten von Ihnen allerdings so viel Bedeutung, dass sie wachsen und gedeihen. So lange, bis Sie glauben, dass diese Teile Sie vollständig ausmachen. Gleichzeitig erzeugen Sie unbewusst einen Widerstand gegen diese Teile, indem Sie diese als unerwünscht bewerten. Wenn Sie zum Beispiel denken, dass Ihre Beschwerden erst verschwinden müssen, damit Sie ein erfülltes Leben führen können, produzieren Sie mit dieser Annahme unbewusst Ablehnung gegen bestimmte Persönlichkeitsanteile. Diese Ablehnung führt schließlich dazu, dass Sie Druck aufbauen (→ Sie möchten ja, dass Ihre Beschwerden verschwinden). Durch diesen Druck blockieren Sie jedoch unabsichtlich jegliche Veränderung.

Wie Sie aufhören Leid zu erzeugen

Wenn Sie in Ihrem Leben unter einem Problem leiden, ist es in erster Linie entscheidend, dass Sie lernen sich selbst und den Prozess des Leidens getrennt voneinander zu betrachten. Unabhängig davon, was in oder außerhalb von Ihnen geschieht – Sie können lernen die Kontrolle über Ihr Erleben zu behalten.

Der erste Schritt zur Bewältigung des eigenen Leidens ist das Aufspüren und Beobachten Ihrer gedanklichen Bewertungen, die Ihren Zustand erst zu Leid werden lassen. Dieses “Beobachten” mag recht einfach klingen, doch die Umsetzung erfordert kontinuierliche Übung und sehr viel Geduld. Das liegt vor allem daran, dass wir denken, dass wir selbst es sind, die denken. Wir haben uns mit unserem Verstand und der Tatsache, dass wir denken identifiziert. Durch diese Identifikation erleben wir nicht selten, dass unsere Gedanken sich aufdrängen und uns zwingen Ihnen Beachtung zu schenken, indem Sie alles kommentieren, prüfen, abwägen, bewerten, beurteilen und analysieren. Die meiste Zeit geschieht dies jedoch, ohne dass wir diese Vorgänge bewusst steuern. Infolge dieser unbewussten Gedankenabläufe fühlen wir schließlich (negative) Gefühle, die wir nicht zuordnen können und reagieren unter Umständen gereizt, cholerisch, beleidigt oder so, als müssen wir uns selbst um jeden Preis verteidigen. Wir erleben einen Kreislauf, dem wir uns hilflos ausgeliefert fühlen.

Um den eigenen Denkprozess bewusst gestalten zu können, gilt es zunächst anzuerkennen, dass wir selbst mehr sind als unser Verstand. Diese Aussage mag schwer vorstellbar erscheinen, da der Verstand über die letzten Jahrhunderte am stärksten von uns Menschen entwickelt wurde. Unsere Wissenschaft mit all ihren aussagekräftigen Forschungsstatistiken erhält in der Regel immer mehr Gewicht, als unsere Intuition. Dennoch kennen wir alle dieses Bauchgefühl und diese innere Stimme, die uns manchmal dazu bringen, etwas zu tun, was unser Verstand niemals tun würde.

Die Kompetenz unseres Verstandes

Der Verstand ist im Wesentlichen ein nützliches Werkzeug, das es liebt von uns gebraucht zu werden. Er ist ein echter Profi in seinem Job. Geben wir eine Frage, Problemstellung oder Überlegung in unser System ein, wird unser Verstand versuchen diese schnellstmöglich zu lösen. Das ist seine natürliche Aufgabe.

Wenn Sie sich zum Beispiel überlegen, morgen ein bestimmtes Gericht zum Abendessen zuzubereiten, welches Sie schon länger nicht mehr gekocht haben, so wird Ihnen Ihr Verstand schnell mitteilen was Sie dafür zu tun haben. So wird er prüfen, ob Sie alle Zutaten vorrätig haben und eventuell vorschlagen das Rezept zu suchen. Vielleicht überlegt er, welcher Supermarkt besonders geeignet ist, um gleich weitere Lebensmittel für den gesamten Wocheneinkauf zu besorgen und empfiehlt Ihnen eine Einkaufsliste. Er wird Ihnen außerdem eine Zeit vorschlagen, wann Sie am besten Ihre Einkäufe erledigen (heute, oder lieber morgen, morgens, abends oder in der Mittagspause) und für Sie abwägen, ob Sie weitere Dinge erledigen können, während Sie das Haus verlassen (zum Beispiel den Müll rausbringen oder den Briefkasten prüfen). All das sind kompetente und nützliche Gedankenleistungen Ihres Verstandes. Sobald Ihr Plan „Vorbereitung für morgiges Abendessen“ steht, wäre seine Aufgabe allerdings erledigt und Sie könnten ihm eigentlich mitteilen ,,Danke, jetzt brauche ich dich nicht mehr, ich möchte mich jetzt entspannt aufs Sofa legen und mich erstmal mit nichts mehr beschäftigen.”

Probieren Sie das doch gerne gleich einmal aus. Setzten oder legen Sie sich für einige Minuten entspannt irgendwohin, wo Sie ungestört sind. Schließen Sie die Augen. Stellen Sie sich einen Wecker und denken Sie doch mal fünf Minuten nichts.

Denkpause

Nach dieser Übung werden Sie vermutlich verstehen, dass es für viele von uns unmöglich ist, nichts zu denken. 

Wie unser Verstand unbemerkt unser Leben kontrolliert

Vielleicht haben Sie während der Übung Ihren Tag oder eine bestimmte Situation Revue passieren lassen, verweilten in einer schönen Erinnerung oder überlegten, was Sie im Laufe des Tages noch zu tun haben. Das klingt im Grunde vollkommen normal, und kaum bedenklich oder gar ungesund, nicht wahr?

Doch exakt dieses Bild von Normalität bildet den Grundbaustein vieler unserer Probleme. Es scheint für einen Großteil von uns vollkommen selbstverständlich geworden zu sein, immer mit etwas beschäftigt sein zu müssen. Wenn wir bei einer Zugfahrt nicht unsere E-Mails beantworten, WhatsApp Nachrichten lesen oder abhören, etwas bei Amazon bestellen etc., dann würde sich unter Umständen der Gedanke aufdrängen, dass wir unsere Zeit verschwenden und unproduktiv sind. Besonders vor dem Schlafengehen oder wenn wir monotonen, automatisch ablaufenden Tätigkeiten wie Auto fahren oder Kartoffeln schälen, nachgehen, beschäftigen wir uns automatisch mit solchen Gedanken und sind mit unserer Aufmerksamkeit meist nicht „bei der Sache“, sondern irgendwo in unseren Gedanken versunken.

Der größte Teil unserer Energie befindet sich in unserem Alltag folglich in unserem Gehirn. Dadurch, dass dort so eine große Menge an Energie vorhanden ist, wird unser Verstand immer wieder stimuliert noch mehr zu arbeiten. Logischerweise tut er dann das, was eben seine Funktion ist: Weitere Gedanken zur kognitiven Ver- bzw. Be-arbeitung bereitstellen. Die Folge: Ununterbrochenes Denken.

Als Konsequenz erleben wir uns die meiste Zeit unseres Lebens (gedanklich) dauerbeschäftigt oder überreizt. Zeit zur Ruhe zu kommen und im gegenwärtigen Moment zu verbringen ohne dabei bereits über Später, Morgen oder das, was wohl in der Zukunft geschehen könnte, nachzudenken, ist für viele Menschen befremdlich geworden. Genauso befremdlich wie das Gegenteil: Endlich das Gestern und die Gedanken an die Erfahrungen aus der Vergangenheit loszulassen. Es ist normal geworden, nicht im Hier und Jetzt zu leben, sondern im Leid der Vergangenheit oder in der Angst vor der Zukunft. 

Im Rahmen dieser von uns geschaffenen Normalität quälen wir uns schließlich mit unzähligen diffusen Gedanken, die wir nicht bewusst wahrnehmen, sondern einfach automatisch denken. Was wir allerdings bewusst wahrnehmen können, sind die Auswirkungen dieser vielen unbewusst ablaufenden gedanklichen Prozesse: Unsere unerwünschten Emotionen, die uns im Kontakt mit unseren Mitmenschen plötzlich überkommen und dafür sorgen, dass wir emotional unkontrolliert re-agieren. 

Wir haben somit unbewusst eine persönliche und kollektive Entwicklung akzeptiert, in der wir einen Großteil unseres Denkens, Fühlens und Handelns an unseren Verstand abgegeben haben.

Wie wir uns von unserem Verstand distanzieren 

Je mehr wir uns im Aufspüren und Überprüfen unserer Gedanken üben, desto mehr wird es uns gelingen, uns von unseren Gedanken zu distanzieren. Wir können sie als das wahrnehmen, was sie tatsächlich sind: Die Folge eines Überschusses an Energie in unserem Gehirn (u.a. durch Stress und Überreizung). Haben wir es geschafft, bestimmte dysfunktionale, häufig wiederkehrende Denkmuster zu identifizieren, können wir damit beginnen diese sorgfältig zu überprüfen. Nehmen wir an, wir würden feststellen, dass wir uns häufig dabei beobachtet haben den Gedanken „das schaffe ich nicht“  oder „das kann ich nicht“ zu denken. Als Folge dieses Gedankens entstehen natürlicherweise Gefühle von Unsicherheit, Frust, Hilflosigkeit und Wut. Im Umgang mit anderen Menschen erleben wir uns plötzlich gereizt und gestresst.

Doch müssen wir nicht stumm dabei zuhören, was alles an dysfunktionalen Gedanken in uns gedacht wird. Wir können Stopp sagen und uns fragen:

  • Welcher Teil in mir denkt das?
  • Muss ich das, was ich denke wirklich denken?
  • Glaube ich das, was ich da denke? 
  • Will ich das denken, was ich denke?
  • Von wem stammen diese Gedanken ursprünglich? (z.B. Überzeugungen der Eltern, Gesellschaft, eigene Erfahrungswerte etc.)

Prüfen Sie daher bei jedem Gedanken, der Ihnen ein ungutes Gefühl gibt, ob Sie diesen Gedanken weiter aufgreifen möchten. Niemand zwingt sie die Gedanken zu denken, die Sie denken!

Wenn Sie anfangen Ihre Gedanken bewusst zu hinterfragen, dann wird es sich nach einiger Zeit nicht mehr so anfühlen, als seien Sie Ihren Gedanken hilflos ausgeliefert. Die Kontrolle über Ihren Geist erobern Sie zurück, indem Sie entscheiden, welche Qualität Ihre Gedanken haben sollen.

Sie können sich dazu Ihren Geist z.B. als Diskothek vorstellen, in der sich viele Gäste (→ Gedanken) aufhalten. Sie sind der verantwortliche Türsteher der Disko (→Ihres Geistes) und prüfen, welche Gäste (→Gedanken) Sie hineinlassen und welche draußen bleiben müssen. Sie allein entscheiden, wie Ihre Party abläuft und wer in Ihrer Diskothek tanzen darf! 🙂 

„Ich lasse meine Überzeugungen nicht los. Ich hinterfrage sie und sie lassen mich los“

-Byron Katie-

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