Die Diagnose einer ernsten Krankheit, ein tragischer Unfall, der Verlust eines geliebten Menschen, eine schmerzhafte Trennung, Pandemie, Krieg oder Inflation – all dies sind Beispiele für einschneidende Veränderungen in unserem Leben. Diese Veränderungen bewirken Stress in unserem menschlichen System. Ob wir wollen oder nicht – wir sind gezwungen uns mit diesen Veränderungen auseinanderzusetzen. Dieser Prozess gestaltet sich unterschiedlich schwer, je nachdem wie ausgeprägt unsere persönliche Resilienz ist.
Was versteht man unter Resilienz?
Der Begriff Resilienz beschreibt die Fähigkeit eines Menschen herausfordernde oder belastende Phasen ohne nachhaltige Schäden zu überstehen.
Diese Fähigkeit scheint jedoch bei einigen Menschen von Natur aus stärker ausgeprägt als bei anderen.
Vielleicht kennen Sie einen Menschen in Ihrem Familien- oder Bekanntenkreis, dem es auf wundersamerweise immer wieder gelingt, den Widrigkeiten des Lebens zu trotzen. Jemanden, der es schafft nach jeder Niederlage wieder aufzustehen. Diese Menschen wirken häufig emotional gefestigt, zuversichtlich, zentriert und mutig.
Dagegen gibt es Menschen, die sich nach bestimmten Ereignissen kaum vollständig erholen und es nicht einfach so schaffen wieder auf die Beine zu kommen. Manchmal reichen bei diesen Menschen auch schon kleinere, weniger dramatische Situationen aus, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ihre Belastungsgrenze scheint schneller erreicht zu sein.
Die Gründe dafür, dass es manchen Menschen leichter fällt, den Herausforderungen des Lebens zu begegnen und anderen nicht, sind vielfältig.
Welche Faktoren haben Einfluss auf unsere Resilienz?
Es gibt zahlreiche Faktoren, die unsere Widerstandsfähigkeit beeinflussen. Dazu zählen z.B.:
- Ungesunde Überzeugungen (Glaubenssätze) und erlernte Verhaltensmuster (durch Erziehung und soziokulturelle Prägung)
- Genetische Veranlagungen | physische und psychische Erkrankungen | allgemeine gesundheitliche Beeinträchtigungen
- Negatives Selbstbild
- (Emotionale ) Abhängigkeit
- Negative oder traumatische Erlebnisse, insbesondere frühkindliche Bindungserfahrungen
- Individuelle Persönlichkeitsmerkmale (z.B. Optimismus/Pessimismus)
- Das persönliche, soziale Umfeld und die eigene Beziehungsfähigkeit
- Die Fähigkeit sich selbst, anderen Menschen und dem Leben zu vertrauen
- Ängste | Permanente (Selbst-)Zweifel
- Versorgung der menschlichen Grundbedürfnisse
- Die Fähigkeit sich selbst und das Leben so anzunehmen, wie man/es ist
Da jeder Mensch sowohl auf körperlicher als auch auf geistiger Ebene vollkommen einzigartig ist und seinen ganz persönlichen Lebensvoraussetzungen unterliegt, kann der eine schon mal an einer Situation verzweifeln, bei der ein anderer kaum negative Auswirkungen auf sein Leben feststellt. Demnach muss auch jeder Mensch für sich ganz individuell prüfen, welche Strategien und Impulse sich für eine resiliente Lebensführung eignen.
Das eigene Stressprofil definieren
Dafür kann es hilfreich sein, im ersten Schritt das eigene Stressprofil zu definieren. Denn nur, wer sich darüber im Klaren ist, wer oder was im eigenen Leben tatsächlich Stress erzeugt, kann auch Maßnahmen ergreifen, diesem Stress entgegenzuwirken.
Sie können damit beginnen alles zusammenzutragen, was in Ihrem Leben Ihrer Meinung nach dazu beiträgt, dass Sie Stress erleben. Dazu gehören sowohl äußere Faktoren, wie Personen in Ihrem Umfeld, Schicksalsschläge, existenzielle Nöte, Druck auf der Arbeit etc., als auch innere Faktoren. Hierzu zählen beispielsweise pessimistische Grundhaltungen, Ängste, negative Gedankenmuster oder aber bestimmte Gefühle, die Sie als störend bewerten (z.B. Wut, Neid, Scham etc.). Ein nicht zu unterschätzender Stressfaktor bildet die Erwartungshaltung, die Sie an die von Ihnen ausgefüllten Rollen richten (z. B. wie sollte ich mich als Chef, Angestellte/r, Mutter, Vater, Kind, Partner/in, Freund/in verhalten? etc.).
Stress wird meist von innen erzeugt
Vielen Menschen fällt es leichter, die äußeren Faktoren, die ihrer Ansicht nach Stress in ihrem Leben erzeugen, ausfindig zu machen.
Doch diese äußeren Dinge sind meist „nur“ die Auslöser für unseren subjektiv empfundenen Stress. Die Ursachen liegen meist in unserem Inneren. Um diese Ursachen finden zu können, bedarf es eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Gedanken, Überzeugungen, Gefühlen und dem eigenen Verhalten.
Erst, wenn ein äußerer Reiz (z.B. Konflikt im Job, in der Partnerschaft oder innerhalb der Familie, eine Kündigung, Krankheitssymptome, Diagnose einer (ernsten) Krankheit etc.) auf ungesunde Überzeugungen trifft, entsteht Stress. Erst, wenn wir davon überzeugt sind, dass wir bestimmte Dinge nicht schaffen können, werden in uns Gefühle der Überforderung, Hilflosigkeit, Unsicherheit und Ohnmacht hervorgerufen. Auf diese Gefühle reagieren wir dementsprechend.
Unter anderem mit:
- Angst und Vermeidung
- Angst, Wut, Gereiztheit und aggressivem Verhalten
- Angst, Misstrauen, Überkompensation und Kontrollmechanismen
Unsere (unbewusste) Angst ist fast immer ein Bestandteil unserer dysfunktionalen Überzeugungen. Wem es gelingt seine Gedanken, Gefühle und sein Verhalten aufmerksam zu beobachten, kann mit etwas Übung seine eigenen negativen Glaubenssätze ausfindig machen und die zugrunde liegenden Ängste identifizieren.
So kann bei einer Innenschau zum Beispiel auffallen, dass die eigenen Ansprüche und Erwartungen (an uns selbst und/oder die Mitmenschen) besonders hoch sind. Oder wir bemerken, wie oft wir versuchen immer nett und freundlich zu sein, überall zu helfen und es allen recht zu machen, aus Angst davor, kritisiert, abgelehnt oder verlassen zu werden.
Oft bewegen wir uns auf Grund solcher Ängste so weit weg von uns selbst, dass wir (innerlich) brodeln, verzweifeln, schreien, weinen oder resignieren.
Folgende (unbewusste) Ängste können unsere Gedanken, Gefühle und unser Verhalten negativ beeinflussen:
- Angst vor Wertlosigkeit (die Angst, so wie man ist, nicht richtig /nicht gut genug zu sein)
- Angst von anderen Menschen verletzt zu werden (äußert sich häufig in Bindungs-und/oder Verlustangst)
- Angst vor Veränderungen und Unberechenbarkeit
- Angst vor (körperlichem) Schmerz / Angst vor dem Tod
- Angst vor der eigenen Stärke und Kraft (glaubt man kaum, nicht wahr? 🙂 )
Das innere Erleben verändern, um Resilienz aufzubauen
Doch unabhängig davon, wie unterschiedlich Stress und die Auswirkungen stressauslösender Ereignisse auf das Leben empfunden werden, kann jeder Mensch lernen den eigenen Umgang mit diesen stressauslösenden Ereignissen zu verändern. Die eigene Resilienz wird vor allem da gebraucht, wo wir wenig oder keine Möglichkeiten haben Situationen oder Ereignisse durch unser Verhalten zu beeinflussen.
Wenn beispielsweise ein geliebter Mensch/ein geliebtes Tier stirbt, dann gibt es nichts, was wir aktiv tun können, um diesen Menschen/dieses Tier wieder lebendig zu machen.
Einfach alles hinnehmen?
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass Resilienz nicht mit Entmachtung oder Entpolitisierung einhergehen muss. Es handelt sich nicht darum, zu lernen die Dinge einfach stumm hinzunehmen und die Augen vor der Realität zu verschließen. Vielmehr geht es um das Ausleuchten einer persönlichen Situation, in der alle zur Verfügung stehenden Optionen zum Umgang mit dieser Situation geprüft werden und im Anschluss konkret umgesetzt werden.
Wäre das Leben für uns alle mit wenig Veränderung verbunden und könnten wir uns immer sicher sein, dass das, was wir erwarten auch einträfe, so verliefe unser Leben planbar, einfach und stabil. Da wir aber häufig den gegenteiligen Voraussetzungen unterliegen und unser Leben zunehmend komplex, unvorhersehbar und mehrdeutig verläuft, bedarf es einer Strategie, um mit diesen Gegebenheiten umgehen zu können, ohne daran zu verzweifeln.
Die kleinste gemeinsame Schnittmenge für alle stressauslösenden Situationen bildet demzufolge immer die Möglichkeit, das innere Erleben zu verändern.
Aller Anfang: Annehmen was ist
Das Fundament beim Aufbau der eigenen Resilienz ist daher das Annehmen des IST-Zustandes.
Häufig wird in diesem Zusammenhang der Begriff Akzeptieren mit dem des Annehmens gleichgesetzt. Akzeptanz ist allerdings etwas, das man nicht einfach machen kann. Sie können sagen, dass Sie etwas akzeptieren, doch das muss nicht bedeuten, dass Sie es auch tatsächlich tun. Akzeptieren fühlt sich daher für viele Menschen an wie resignieren. Annehmen hingegen bedeutet, dass Sie eine Situation und die Auswirkungen, die diese auf Sie hat, so anerkennen wie sie ist und diese nicht leugnen. Es geht einzig und allein darum, sich zu einzugestehen: Es ist, wie es ist. Es geht nicht darum seine Zustimmung zu dieser Situation zu geben und gutzuheißen, was gerade passiert.
Wenn Sie beispielsweise in einem Familienstreit sagen: „Alles ok. Ich bin überhaupt nicht traurig/wütend/verletzt“, obwohl Sie sich im Inneren so fühlen, leugnen Sie Ihren Zustand. Sie nehmen Ihre Emotionen und Gefühle nicht an. Auf diese Weise nehmen Sie unbewusst auch den Teil Ihrer Persönlichkeit nicht an, der in diesem Moment traurig/wütend/verletzt ist.
Doch erst, wenn Sie eine Situation so annehmen wie sie ist, können Sie diese verändern. Erst wenn Sie sich eingestehen, dass Sie gerade von einem Gefühl erfasst sind, dass Ihnen unangenehm ist, werden Sie bewusst handlungsfähig. Unbewusst handeln Sie nämlich sowieso. Allerdings fungieren Sie hier eher als Gast bei sich selbst. Sie schauen zu, wie Sie in ein bestimmtes Handlungsmuster hineingezogen werden und haben kaum Spielraum dieses Muster zu durchbrechen. Sie sind in Ihren Emotionen gefangen.
Gelingt es Ihnen sich selbst und Ihren IST-Zustand wahrhaftig anzunehmen, können Sie entscheiden, wie Sie anschließend weiter verfahren wollen. Die Energie, die vorher in (Selbst-)Ablehnung, Nicht-Akzeptanz und Widerstand festgesteckt hat, wird nun wieder frei und steht Ihnen zur Verfügung.
Nicht ohne Grund ist die Akzeptanz einer der sogenannten sieben Resilienzschlüssel. Diese lauten:
- Akzeptanz
- Optimismus
- Selbstwirksamkeit
- Eigenverantwortung
- Netzwerk | Beziehungen
- Lösungsorientierung
- Zukunftsorientierung
Wie erlernt man Resilienz?
Resilienz gestaltet sich genauso vielfältig wie Ihre Persönlichkeit. Sie müssen für sich herausfinden, welche Strategien und Einstellungen dazu beitragen Ihre persönliche Resilienz zu entwickeln.
In erster Linie braucht es jedoch immer Ihre Bereitschaft Ihre bisherige Gedanken- und Lebensführung zu verändern. Zudem sollten Sie gewillt sein, Ihre innere Haltung und ihre Bewertungskriterien zu bestimmten Themen zu beobachten, zu hinterfragen um situativ flexibler reagieren zu können.
So können Sie mit folgenden Überlegungen starten:
- Welche konkreten Dinge tun mir grundsätzlich in stressigen Zeiten gut?
- Wie gehe ich mit mir selbst um, wenn ich gestresst, überfordert, traurig oder wütend bin?
- Wie bin ich in der Vergangenheit mit herausfordernden oder belastenden Phasen umgegangen? Was hat gut funktioniert und mir geholfen?
- Was muss ICH machen, damit es mir schlechter geht? (mich mehr hineinsteigern, mich mit anderen vergleichen etc.)
- Bin ich bereit die Verantwortung für meine eigenen Gedanken und mein Verhalten zu übernehmen?
- Habe ich Vertrauen in mich selbst, meine Fähigkeiten und in das Leben, oder habe ich den Eindruck, ich muss mich ständig anstrengen, kämpfen, beweisen und möglichst alle Umstände kontrollieren?
- Welche Personen in meinem Umfeld tun mir in schwierigen Situationen besonders gut und unterstützen mich?
- Welche neuen, wertschätzenden Gedankenmuster können mir helfen veraltete, ungesunde Überzeugungen über mich selbst und das Leben abzulegen?
- Bin ich bereit mich in jedem Moment des Lebens so anzunehmen, wie ich gerade bin, ohne mich abzuwerten und zu verurteilen, wenn mir etwas nicht gelingt?
“Die schwierigste Zeit in unserem Leben ist die beste, um innere Stärke zu entwickeln.”
-Dalai Lama-